Einer der Gründe, warum Verlage häufig Manuskripte ablehnen, sind Probleme mit der Erzählperspektive, deshalb möchten wir heute einmal diesen wichtigen Aspekt des Schreibens näher betrachten.
Was versteht man unter Erzählperspektive?
Die Erzählperspektive (Englisch: Point of View = POV) ist die Sicht, aus der wir die Geschichte sehen.
Grundsätzlich unterscheidet man drei Erzählperspektiven:
- Ich-Erzähler: Die Geschichte ist in der ersten Person (ich) geschrieben, meist aus Sicht der Hauptperson, manchmal aber auch aus Perspektive eines Nebencharakters.
- Auktorialer (= allwissender) Erzähler: Der Erzähler ist nicht einer der Charaktere, sondern ein allwissender Beobachter, der von oben auf die Dinge herabsieht und weiß, was jeder Charakter denkt und fühlt. Er weiß mehr als die Charaktere und kann auch in Vergangenheit und Zukunft sehen (z.B. Sie ahnte nicht, dass das erst der Beginn ihrer Schwierigkeiten war). Einfach nur in die Köpfe mehrerer Charaktere einzutauchen, ist keine auktoriale Perspektive, sondern „head hopping“. Der auktoriale Erzähler bringt sich durch Kommentare und Wertungen ein und ist eine spürbare Präsenz.
- Personaler Erzähler: Die Geschichte oder Szene wird aus der Perspektive von nur einem Charakter erzählt. Der Leser weiß also lediglich, was diese Figur sieht, fühlt oder denkt.
Was ist die beste Erzählperspektive?
Es gibt keine Erzählperspektive, die immer die beste ist. Die richtige Perspektive hängt auch von der Art der Geschichte, v.a. dem Genre, und dem Effekt, den der Autor erzielen will, ab.
Im 19. Jahrhundert wurden Romane oft aus der auktorialen Perspektive geschrieben. Der Vorteil des auktorialen Erzählens ist, dass es dem Leser den Blick auf den Kontext und gesellschaftliche Gesamtzusammenhänge gewährt. Wenn du also möchtest, dass der Leser die Ereignisse in der Geschichte aus kritischer Distanz betrachtet, ist die auktoriale Erzählperspektive eine gute Wahl.
Aber heutzutage wollen wir eigentlich, gerade in Liebesromanen, eher, dass sich der Leser mit den Charakteren identifiziert und vergisst, dass er eine Geschichte liest, deshalb wird die auktoriale Erzählweise nicht mehr so oft verwendet. Die meistverwendete Erzählweise ist heute die personale, deshalb konzentrieren wir uns im Folgenden darauf.
Was sind die häufigsten Probleme mit der Erzählperspektive?
- „head hopping“: Der englische Begriff bezeichnet das Springen von einer Erzählperspektive zu einer anderen innerhalb einer Szene. Der Leser wird also vom Kopf eines Charakters in den eines anderen geschleudert. Dadurch wird der Leser aus der Geschichte gerissen und kann sich weniger mit einem Charakter identifizieren. Autoren sollten sich strikt an eine Erzählperspektive halten und nur die Perspektive wechseln, wenn eine neue Szene oder ein neues Kapitel beginnt.
Hier ist ein Beispiel:
»Hallo, hier ist Chantal. Schön, dass du anrufst«, raunte Christina in den Hörer.
»Äh, hallo«, sagte Linda.
Christina runzelte die Stirn. Eine Frau? In den vier Monaten, seit sie für die Sex-Hotline arbeitete, hatten erst drei Frauen angerufen. »Du rufst genau richtig an. Ich zieh mich gerade aus, um ein heißes Bad zu nehmen.« Sie ließ ihre Stimme klingen, als würde sie Linda ein Geheimnis verraten. »Willst du mitkommen?«
Lindas Herz raste. Ihre Finger spielten nervös mit dem Telefonkabel. »Wäre es in Ordnung, wenn wir … wenn wir einfach nur sprechen?«
Das ist „head hopping“. Christina kann den Namen der Anruferin nicht kennen. Sie kann auch nicht spüren, wie ihr Herz rast, oder sehen, wie sie am Telefonkabel herumfummelt, deshalb sollte der Leser diese Information auch nicht haben.
Hier ist der Ausschnitt aus Alison Greys Roman Richtig verbunden ohne das „head hopping“:
»Hallo, hier ist Chantal. Schön, dass du anrufst«, raunte Christina in den Hörer.
»Äh, hallo«, sagte eine Frau am anderen Ende.
Christina runzelte die Stirn. Eine Frau? In den vier Monaten, seit sie für die Sex-Hotline arbeitete, hatten erst drei Frauen angerufen. »Du rufst genau richtig an. Ich zieh mich gerade aus, um ein heißes Bad zu nehmen.« Sie ließ ihre Stimme klingen, als würde sie der Anruferin ein Geheimnis verraten. »Willst du mitkommen?«
»Wäre es in Ordnung, wenn wir … wenn wir einfach nur sprechen?«
- Der Autor beschreibt Dinge, die der Charakter, aus dessen Sicht erzählt wird, gar nicht wissen kann. Im personalen Erzählstil kann der Leser nur das erfahren, was die POV-Figur auch weiß. Also kann man nichts beschreiben, was hinter dem Rücken der POV-Person passiert oder was der Gesprächspartner während des Telefonats mit unserer Hauptperson gerade tut. Und falls der POV-Charakter ein Stadtmensch ist, kann man nicht jede Pflanze im Wald mit dem korrekten Namen bezeichnen.
- Der Autor beschreibt den POV-Charakter von außen. Nur ein sehr eitler Charakter würde über ihr eigenes Aussehen nachdenken. Statt zu schreiben Ihr Gesicht lief rot an, wäre vielleicht Ihre Wangen wurden heiß eine bessere Alternative.
- Man sollte auch keine Dinge beschreiben, die der POV-Charakter schon weiß oder die er gar nicht beachten würde. Wenn uns etwas sehr vertraut ist, bemerken wir es gar nicht mehr und haben keinen Grund, darüber nachzudenken. So denken wir z.B. selten über unser Aussehen nach oder über die Möbel in unserem Haus, es sei denn, wir haben einen sehr guten Grund dafür. Beispiel: Sie gab Sabrina eine Ohrfeige. „Es ist aus!“ Ihre Beziehung hatte vor sechs Monaten begonnen, als gemeinsame Freunde sie einander auf einer Party vorgestellt hatten. In einem so emotionalen Moment würde sie mit Sicherheit nicht darüber nachdenken, wie sie einander kennengelernt haben, also muss man einen anderen Weg finden, dem Leser diese Information mitzuteilen.
- Zu viele Erzählperspektiven können auch schädlich sein. Die Erzählperspektive ist ein Instrument, das dazu führen soll, dass der Leser sich mehr mit den Charakteren identifiziert. Leser lernen einen Charakter kennen, indem sie seine Gedanken und Gefühle miterleben. Wenn man nun den Leser in die Köpfe von zu vielen Charakteren blicken lässt, wird der Leser keinen dieser Charaktere so gut kennenlernen, als wenn man nur ein oder zwei POV-Charaktere hat.
- Verwende keine Beschreibungen wie „die blonde Schauspielerin“ oder „der junge Anwalt“ oder auch „die neunzehnjährige“, um den POV-Charakter zu bezeichnen. Kein normaler Mensch denkt so über sich selbst.
Hier ein paar Links zu englischen Artikeln über Erzählperspektiven:
Head hopping and POV violations
Is third person limited limiting?
Besuchen Sie unseren Blog wieder am nächsten Mittwoch, wenn wir darüber bloggen, wie man am besten einen Roman anfängt. Und verpassen Sie nicht die nächste Verlosung am Sonntag.
Gutes Schreiben!
Jae
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Hallo ich habe eine Frage und zwar möchte mein Buch aus Zwei Sichten schreiben. Zurzeit schreibe ich beide in der Ich Perspektive. Die Leser wissen also was beide denken und fühlen. Ich teile es in Kapitel ein. Nun meine Frage ist die gewählte Perspektive okay? Gibt es irgendetwas was ich unbedingt beachten muss? Es ist mein erster Versuch beide Sichten zu beschreiben.
Einen Roman aus Sicht von 2 Ich-Erzählern zu schreiben, ist durchaus nicht unüblich. Wenn jede Perspektive nach Kapiteln getrennt wird, vermeidet das auch Verwirrung bei den LeserInnen.
Am Wichtigsten ist, beide Erzählstimmen hinreichend unterschiedlich und außerdem interessant genug zu gestalten. Die Ich-Perspektive lebt von faszinierenden Persönlichkeiten.