Einer der häufigsten Gründe, warum Verlage Bücher ablehnen und warum Leser aufhören, ein Buch zu lesen, ist, dass der Anfang nicht zu fesseln vermag. Vermutlich ist Ihnen das als Leser auch schon passiert. Man liest die ersten paar Seiten eines Buches, legt es weg und liest nie wieder weiter.

Warum ist der Anfang eines Buches so wichtig?

Ihr Buch mag eine action-reiche Verfolgungsjagd auf Seite 38 oder die beste Liebesszene der Welt auf Seite 251 haben, aber Ihre Leser werden das nie herausfinden, wenn sie nach ein paar Seiten Ihr Buch schon zur Seite legen. Der Anfang des Buches ist deshalb so wichtig, weil es Ihre einzige Chance ist, das Interesse eines Lesers oder eines Verlags zu wecken.

Was sind die häufigsten Probleme im ersten Kapitel von Büchern?

Hier ist eine Liste der häufigsten Probleme:

1) Langsamer, statischer Anfang

Manche Manuskripte beginnen mit einer Hauptperson, die über ihr Leben nachdenkt, während sonst gar nichts geschieht. Bitte vermeiden Sie das. Das erste Kapitel sollte so wenig statische Informationen wie möglich enthalten.

Beginnen Sie die Geschichte stattdessen „in media res“, also mittendrin im Geschehen. Starten Sie möglichst nahe an dem Ereignis, das das Leben ihrer Hauptfigur schlagartig verändert.

Sie können auch ein wenig vor diesem Ereignis beginnen und uns das Leben der Hauptperson zeigen, bevor sich alles ändert. Aber bitte fangen Sie nicht mit einer langweiligen Szene an, die zeigt, wie die Hauptperson aufwacht und sich anzieht. Schreiben Sie eine Szene, die uns die Hauptperson in Konflikt oder bei der Interaktion mit anderen Charakteren zeigt und ihre wichtigen Eigenschaften enthüllt. Statt passiv herumzusitzen und über ihr Leben nachzusinnen, sollte die Hauptperson aktiv sein.

2) Lange Beschreibungen

Beginnen Sie Ihr Buch nicht mit Beschreibungen des Settings, des Wetters oder der Charaktere. Dafür ist später im Buch noch Zeit. Statt statischer Beschreibungen, zeigen Sie uns die Charaktere in Aktion.

3) Zu viel Hintergrundinformation

Vermeiden Sie es, Ihr Buch mit einem Flashback oder „Backstory“ zu beginnen, also mit Informationen, die die Vergangenheit der Hauptperson erklären. Das erste Kapitel ist nicht die richtige Stelle, um über vergangene Ereignisse zu sprechen, denn die Leser sind noch nicht in der Gegenwart der Geschichte verankert und ihnen liegt noch nicht genug an der Hauptperson, um jetzt schon an ihrer Vergangenheit interessiert zu sein.

Zeigen Sie uns erst, wie sich die Hauptperson in der Gegenwart verhält und streuen Sie später stückchenweise Informationen über ihre Vergangenheit ein.

Wir werden im nächsten Blogartikel mehr Tipps zum Umgang mit „backstory“ geben.

4) Unklarer Fokus

Manche Manuskriptanfänge hüpfen von einem Thema zum nächsten, ohne einen roten Faden. Um eine solche mangelnde Fokussierung zu vermeiden, geben Sie ihrer Hauptperson von Anfang an ein Ziel. Es muss nicht gleich das Ziel sein, dass sie dann bis zum Ende des Buches verfolgt, aber sie muss bereits in der ersten Szene irgendetwas wollen. Die Leserin wird weiterlesen, um herauszufinden, ob die Hauptperson erreicht, was sie will.

5) Probleme mit der Erzählperspektive

In einigen Manuskripten bleibt bis zum dritten oder vierten Absatz unklar, in wessen Erzählperspektive wir uns befinden. Es gibt Beschreibungen oder Dialoge, aber wir wissen nicht, durch wessen Augen und Ohren wir alles sehen und hören.

Etablieren Sie die Erzählperspektive gleich zu Anfang und springen Sie nicht von Perspektive zu Perspektive („head hopping“). In der ersten Szene, vielleicht sogar im ersten Kapitel, ist es besser, in der Perspektive der Hauptperson zu bleiben, damit der Leser leicht erkennen kann, wessen Geschichte es überhaupt ist.

Mehr über Erzählperspektiven finden Sie in einem unserer vorigen Blogartikel.

6) Zu viele Charaktere

Wenn Sie im ersten Kapitel zu viele Charaktere einführen, verwirren Sie den Leser nur. Leser können sich nicht ein halbes Dutzend Namen auf einmal merken. Deshalb beschränken Sie die Anzahl der Charaktere, die Sie im ersten Kapitel einführen, auf maximal drei. Richten Sie den Fokus auf Ihre Hauptpersonen.

Was macht einen guten Romananfang aus?

  • Beginnen Sie die Geschichte „in media res“, mit einer aktiven Hauptfigur, die ein Ziel hat und mit anderen interagiert, um dieses Ziel zu erreichen.
  • Führen Sie schon früh einen Konflikt ein. Konflikt muss nicht heißen, dass die Hauptperson sich mit jemandem streitet. Es bedeutet, dass die Hauptperson beim Versuch, ihr Ziel zu erreichen, auf Hindernisse stößt.
  • Der Konflikt, den Sie einführen, muss wichtig sein. Die Leser müssen wissen, dass etwas Wichtiges auf dem Spiel steht. Was kann die Hauptfigur gewinnen, wenn sie ihr Ziel erreicht? Was verliert sie, wenn sie es nicht erreicht? Es muss nicht unbedingt um Leben oder Tod gehen, aber es muss wichtig für die Hauptperson sein. Im ersten Kapitel muss nicht unbedingt schon klar sein, was im Rest des Buches auf dem Spiel steht, aber wir brauchen einen Konflikt, dessen Ausgang eine gewisse Bedeutung für die Hauptperson hat.
  • Lassen Sie das erste Kapitel in „Echtzeit“ spielen, ohne ständige Unterbrechungen, die ein Ereignis aus der Vergangenheit erklären.
  • Am Anfang des Romans sollte der Fokus auf der Hauptperson liegen. Idealerweise sollte die Hauptperson schon im ersten Absatz eingeführt werden.
  • Führen Sie die Erzählperspektive schon ganz am Anfang ein und halten Sie sie konsistent. Der Leser sollte tief verwurzelt in den Gedanken und Gefühlen der Hauptperson werden.
  • Führen Sie im ersten Kapitel nur wenige Charaktere ein.
  • Der Trick, um Leser zum Weiterlesen zu bringen, ist, sie dazu zu bringen, sich Fragen zu stellen. Als Autorin müssen Sie bei Ihren Lesern das Bedürfnis wecken, wissen zu wollen, was vor sich geht und was als nächstes passieren wird. Hier ein Beispiel aus Alison Greys Roman „Richtig verbunden“:

»Hallo, hier ist Chantal. Schön, dass du anrufst«, raunte Christina in den Hörer.

Warum stellt sich Christina als Chantal vor? Und warum raunt sie ins Telefon, statt normal zu sprechen? Anstatt dem Leser zu erklären, dass Christina bei einer Sexhotline arbeitet, kann die Leserin dies selbst entdecken, indem sie die Hauptpersonen interagieren sieht. Das ist einer der Gründe, warum „zeigen“ besser ist als „behaupten“. Mehr zum Thema „zeigen statt behaupten“ (show, don’t tell) finden Sie hier.

  • Der Anfang sollte die Hauptfrage der Geschichte aufwerfen, auf die der Leser am Ende der Geschichte eine Antwort erwartet. Die Hauptfrage in meinem neuesten Buch, Something in the Wine, ist zum Beispiel: Werden Annie und Drew es schaffen, Annie’s Bruder reinzulegen?

Mit welchen interessanten Zeilen fängt Ihr Lieblingsbuch an? Was bringt Sie als Leserin dazu, ein Buch nach ein paar Absätzen oder Seiten beiseitezulegen?

Hinterlassen Sie uns doch einen Kommentar und schauen Sie am 19. Dezember wieder hier auf dem Blog vorbei, wenn wir etwas über die Themen „Informationen abladen“ (Infodump) und Hintergrundgeschichte schreiben werden.

Anfänge
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3 thoughts on “Anfänge

  • 13. Dezember 2012 um 18:31
    Permalink

    Ich meine, das „head hpooing“ wird hier etwas zu pauschal verunglimpft. Es kann doch auch seinen Reiz haben, beispielsweise in einer heiklen, gefährlichen Situation als Leser in die Köpfe von Anta und Prota zu schlüpfen, das Unheil für den Prota somit viel eher kommen zu sehen, als es der Prota vermag.
    Oder wenn z.B. drei Bösewichte einem einsamen Kämpfer gegenüberstehen, und nur einer von den drei Bösen primär redet. Der Kämpfer konzentriert sich primär auf den redenden Bösen, dem Leser bleibt auch nicht viel anderes übrig, da er ja den Dialog liest. Wenn nun ein stiller Typ von den drei Bösen kurz vor dem Ausflippen ist und der Leser das erfährt, weil man ihn in den Kopf des Ausflippenden Bösewicht blickenlässt, dann kann der Leser die Gefahr für den Kämpfer viel eher kommen sehen und hat viel mehr Angst um den Kämpfer.

    Also ich meine, dem „head hopping“ wird hier von vorneherein keine Chance gegeben, was meiner Ansicht nach eine vertane Chance ist. Selbstredend stimme ich dem zu, dass man damit nicht übertreiben darf.

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    • 14. Dezember 2012 um 10:49
      Permalink

      Die Erzählperspektive ist in erster Linie ein Instrument, mit dem man Leseridentifikation erzeugen kann. Springt man nun in den Kopf/Gedankenwelt von Bösewicht # 3, gibt man ihm damit eine Wichtigkeit, die er nicht hat. Macht man das zu oft, weiß der Leser schließlich gar nicht mehr, mit wem er sich eigentlich identifizieren soll — und dann ist dem Leser egal, ob nun ein Bösewicht gleich die Hauptperson angreifen wird, weil der Leser sich zu wenig in die Hauptperson einfühlen konnte.

      Übrigens kann man gerade mit einer strikt personalen Erzählperspektive ohne „head hopping“ Spannung erzeugen. Die POV-Person (und somit der Leser) hat ein eingeschränktes Wissen und kann nicht wissen, was die Antagonisten planen. Der Leser wird sich also Fragen: Was hat der Bösewicht vor? Ist die Hauptperson gerade, ohne es zu wissen, in eine Falle getappt? Sind alle drei wirklich auf der Seite des Bösen oder wird sich doch noch einer auf die Seite der Guten schlagen? Ein Leser, der sich solche oder ähnliche Fragen stellt, wird weiterlesen, um die Antworten zu erfahren.

      Wenn notwendig, kann man in einer vorigen Szene/Kapitel in die Gedankenwelt eines Bösewichts eintauchen und zeigen, dass sie der Hauptperson eine Falle stellen.

      Als Leserin finde ich ein sehr „kontrolliertes“ head hopping noch akzeptabel, leider schaffen es jedoch nur wenige Autoren, dies geschickt zu handhaben, deshalb rate ich eher, sich pro Szene strikt an eine Erzählperspektive zu halten.

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  • Pingback:Konflikte | Ylva Verlag

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