Wir alle fühlen uns zu bestimmten Figuren und Konflikten hingezogen, weil sie mit unserem eigenen Leben zu tun haben. Und manche von uns … schreiben eine Geschichte über ein Mädchen, das sich in eine Meerjungfrau verliebt, und kommen dabei zu der Erkenntnis, dass wir vielleicht ein bisschen queer sind.
Autorin Tiana Warner spricht mit uns über die Macht der Bücher und darüber, wie sie uns helfen können, zu entdecken, wer wir sind.
Bücher gehören zu den besten Hilfsmitteln, um herauszufinden, wer wir sind. Fiktionale Werke werden von echten Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen angetrieben − genau das macht sie so interessant. Frag jeden Autor und jede Autorin, und sie werden sagen, dass sie von dem überrascht sind, was aus ihrem eigenen Leben in ihre Werke einfließt. Manchmal fällt ihnen später auf, dass ihre Protagonist*innen immer ein schlechtes Verhältnis zu ihren Geschwistern zu haben scheinen. Oder sie stellen fest, dass sie einen Konflikt durch Eifersucht zu einem Zeitpunkt eingebaut haben, als sie in ihrem eigenen Leben von Eifersucht geplagt wurden.
Und manche von uns … nun, manche von uns schreiben eine Geschichte über ein Mädchen, das sich in eine Meerjungfrau verliebt, und kommen dabei zu der Erkenntnis, dass wir vielleicht ein bisschen queer sind.
Das Gleiche gilt für die Geschichten, die wir lesen – wir alle fühlen uns zu bestimmten Figuren und Konflikten hingezogen.
Lasst uns über die Macht der Bücher sprechen und darüber, wie sie uns helfen können, zu entdecken, wer wir sind.
SAPPHIC YA FANTASY: EIN COMING-OUT-PROZESS
Schreiben ist eine kathartische Erfahrung – wir schöpfen aus dem, was in unserem Kopf vorgeht, erforschen unsere tiefsten Gefühle und erkunden verschiedene Arten, wie Figuren mit Konflikten umgehen. Wenn Autor*innen bereit sind, sich auf alles einzulassen, was aus ihrem Inneren kommt, dann ist das Schreiben eines Buches eine Gelegenheit zur Selbsterkundung, die eine eigene Form der Therapie sein kann.
Was ist für mich attraktiv? Wie wirkt es sich auf mich aus, wenn ich in jemanden verknallt bin? Welche Gedanken tauchen auf, wenn ich meinem Herzen folge? Welche Konflikte und Figuren fesseln meine Aufmerksamkeit? Diese Fragen tauchen auf, wenn man einen Liebesroman schreibt, und es kann sehr aufschlussreich sein, sie zu beantworten!
Als ich mit dem Schreiben von „Ice Massacre (Mermaids of Eriana Kwai #1)“ begann, wusste ich, dass ich eine Geschichte über Kriegerinnen schreiben wollte, die gegen Killer-Meerjungfrauen kämpfen. Während des Schreibens wurde mir klar, dass es das Beste für die Geschichte wäre, wenn sich die Hauptfigur in eine der Meerjungfrauen verliebt, die sie töten soll.
Doch erst als ich das Buch fertig geschrieben hatte, wurde mir klar, dass es mir half, meine Sexualität zu entdecken! Ich wollte über die Gefühle der Protagonistin für eine Meerjungfrau schreiben, weil es eine Chance war, eine sapphische Romanze in einem Fantasy-Setting zu erkunden.
MEINE NISCHE IN LESBISCHER LITERATUR FINDEN
Als die „Mermaids of Eriana Kwai“-Reihe bei den Leser*innen gut ankam und in der LGBTQ+-Community Erfolg hatte, wusste ich, dass ich auf der richtigen Spur war. Ich fand einen Platz in der Welt der Bücher über frauenliebende Frauen und dort konnte ich etwas bewirken. Ich freue mich sehr darauf, noch mehr Geschichten zu schreiben, in denen queere Frauen vorkommen.
Lesbische Liebesgeschichten im Fernsehen zu sehen, war so wichtig für mein Coming-out – Clexa aus „The 100“, Wayhaught aus „Wynonna Earp“, Gail und Holly aus „Rookie Blue“ und „Orange is the New Black“, um nur einige zu nennen. Deswegen wollte ich zu Beginn meiner Autorenkarriere auch Geschichten wie diese schreiben. Ich wollte mit Leser*innen in Kontakt treten, die auf der Suche nach der Art von Repräsentation sind, die für mich so wichtig war.
Jugendbücher sind eine großartige Möglichkeit für Teenager, die eigene Identität zu erkunden – Verliebtheit, Freundschaften, Verantwortung, alles, was zu einer Coming-of-Age-Geschichte gehört. Und diese Bücher lassen uns auch später im Leben diese flatterhaften Gefühle der ersten Liebe noch einmal erleben. Deshalb war meine nächste Geschichte, „The Valkyrie’s Daughter“, ein weiteres queeres Fantasy-Jugendbuch. Ich wollte eine weitere Geschichte schreiben, die junge Leser*innen anspricht und ihnen zeigt, dass sie mit dem, was sie durchmachen, nicht allein sind.
ERWACHSENE LESBENROMANE UND MEHR SELBSTERKUNDUNG
Wie sieht es mit lesbischen Liebesromanen für Erwachsene aus? Mit dem Ylva Verlag arbeite ich nun an Geschichten über Frauen, die sich bereits geoutet haben und ihre Teenagerjahre hinter sich haben. Die Protagonistinnen sind in ihren Zwanzigern und ihre Geschichten spielen im pazifischen Nordwesten.
Meine Selbsterforschung hat sich also auf Beziehungen, Sex und das Verlieben im Hier und Jetzt verlagert, im Gegensatz zu einer Fantasiewelt. Beim Schreiben von „From Fan to Forever“ war es kathartisch für mich, echte Emotionen in die Figuren zu legen – zum Beispiel, als ich über den Ex einer der Figuren schrieb. Es war auch interessant, weitere Liebesromane zu entdecken, zu denen ich mich hingezogen fühle, und zu erforschen, was meiner Meinung nach zwei Menschen miteinander verbindet, wenn sie sich Hals über Kopf ineinander verlieben. Es hat auch Spaß gemacht, detailliertere, heiße Sexszenen zu schreiben!
Die Möglichkeiten der Selbstentdeckung sind endlos, wenn man Liebesromane liest und schreibt. Sowohl für Leser*innen als auch für Autor*innen ist es ein spannender Prozess, herauszufinden, wie wir bei Liebesgeschichten ticken. Ob Fiktion oder nicht, wir alle erleben eine Reihe von Emotionen, wenn wir uns in einem Buch verlieren, und man weiß nie, welche Art von Geschichte bei einem ankommt.
Tiana Warner ist eine Schriftstellerin und Naturliebhaberin aus British Columbia, Kanada. Am bekanntesten ist sie für ihre hochgelobte Trilogie „Mermaids of Eriana Kwai“ und deren Comic-Adaption. Tiana ist eine lebenslange Reiterin, eine ehemalige Programmiererin mit einem Abschluss in Informatik und Mutter eines hyperaktiven Hundes namens Joey.