Die meisten herkömmlichen Verlagshäuser bestechen nicht gerade durch Diversity (Diversität/Vielfalt) in ihrem Verlagsprogramm. Denn „Diversity” scheint vor allem eine Phrase zu sein, ein Wort, das inzwischen einfach dazu gehört, um nicht als völlig reaktionär zu gelten. Aber so wirklich ernst scheinen es Verlage mit der Vielfalt nicht zu meinen. Entsprechend schwer haben es Autor*innen mit Manuskripten, die nicht einfach nur den traditionellen Mainstream bedienen. Mit diesen besonderen Werken in großen Verlagshäusern publiziert zu werden ist ein harter Kampf und leider selten mit Erfolg gekrönt.

Im Gegensatz dazu haben LGBT+ Verlage zwar niedrigere Budgets für ihre Projekte und sind generell kleiner, in einigen Fällen mikroskopisch klein. Doch dafür werfen sie sich immer wieder mächtig ins Zeug, wenn es darum geht, Bücher mit bunten und ungewöhnlicheren Charakteren zu veröffentlichen.

Was macht die kleinen LGBT+ Verlage noch besonders?

 

Diversity ist kein Schimpfwort

Obwohl in den Mainstreamverlagen größtenteils Frauen arbeiten,  werden die wichtigen Entscheidungen doch immer noch vor allem von weißen Männern getroffen. Nur wenige Autor*innen sind schwarze Frauen oder Women of Color, auch Autor*innen aus dem LGBT+ Spektrum sind  selten gesehen.

Logischerweise sind in LGBT+ Verlagen entsprechend mehr LGBT+ Autor*innen und LGBT+ Bücher zu finden. Doch auch auf anderen Ebenen findet sich hier mehr Diversity. Ja, es sollte definitiv noch mehr schwarze Autor*innen geben, People of Color, unterschiedliche Ethnizitäten und Nationalitäten, Menschen mit verschiedenen sozialen Hintergründen. Doch genau das wissen die LGBT+ Verlage ohnehin schon zu gut. Und vielen von ihnen ist es sehr ernst damit, vielfältigere Bücher zu veröffentlichen. Generell gibt es immer wieder Forderungen nach mehr Vielfalt in den Medien und auch in Büchern – und dieser Wunsch kommt ganz sicher nicht aus der konservativen Ecke.

 

“Gay” und “Queer” meint nicht nur hübsche, weiße Männer

Wie schön, wenn die großen Mainstreamverlage aus dem englischsprachigen Bereich wie Penguin Random House oder HarperCollins ganz aus dem Häuschen darüber geraten, dass sie ab sofort viele diverse LGBT+ Bücher herausbringen möchten. Doch wenn wir genauer hinschauen, dann handeln die meisten Bücher doch nur von Liebesgeschichten über stereotype weiße Jungs und Männer.

Es ist wirklich toll, dass die Verlage sich ein wenig in den Regenbogen neigen, aber es genügt nunmal nicht, sich bei LGBT+ nur dem Buchstaben „G“ (Gay) zu widmen.

Um zu wirklicher Diversität in Sachen Geschlecht und Sexualität zu gelangen, müssen die Verlage auch die Aufmerksamkeit von lesbischen und bisexuellen Leser*innen auf sich ziehen. Zum Beispiel gibt es im englischsprachigen Verlagsbereich Queer Pack, ein Unterbereich von Ylva Publishing, der alle vergessenen Buchstaben feiert: aromantische, enby (nicht-binäre), asexuelle Charaktere und alles darüber hinaus.

Statt dem gelegentlichen schwulen Buch aus dem großen Verlagshaus findet man bei LGBT+ Verlagen einfach alles von lesbischen Superheld*innen, über trans Kids, bis zu gleichgeschlechtlicher Liebe in Indien.

Sind LGBT+ Verlage einfach besser? Auf jeden Fall. Wie wäre es denn mal mit Geschichten, die nicht zwingend ein Happy End oder die schon hundertmal ähnlich gelesene platte Liebesgeschichte haben? Nicht, dass wir dafür plädieren möchten, unsere queeren Hauptfiguren sterben zu lassen, aber wie wäre es denn mit einem etwas ungewöhnlichem und unerwarteten Buchende? Geschichten mit Menschen, die ganz unterschiedliche Körper haben frei von der Norm? Und Lebensstile, die nicht oft in Romanen vorkommen und die eben nicht dem neusten Lifestyle-Magazin entsprungen zu sein scheinen? Dialoge, die realistisch sind?

Es geht uns nicht nur um Repräsentation, es geht auch und vor allem um Authentizität. Wir brauchen #ownvoices  – Geschichten, die von Menschen erzählt werden, die wissen wovon sie reden, weil sie selbst zum Beispiel lesbisch oder bisexuell sind, und weil sie nicht die Stereotypen und Klischees bedienen, auf die andere Autor*innen mit anderen Perspektiven immer wieder hereinfallen.

 

Die Freiheit und der Mut, Risiken einzugehen

Mainstreamverlage sind nicht die Verlage, die Bücher veröffentlichen, die originell, innovativ oder riskant sind. Als Mainstreamverlage sind sie natürlich vor allem am Verlegen von Büchern interessiert, mit denen sie den Mainstream erreichen – das gilt auch für Bücher, in denen die besagten schwulen Jungs mitspielen. Ein Risiko einzugehen, gehört einfach nicht zu den Interessen dieser Verlage.

LGBT+ Verlage hingegen sind es gewohnt, Risiken mit ihrem Verlagsprogramm einzugehen, das so anders ist als das der Mainstreamverlage. Manchmal wissen sie schon im Voraus, dass sich bestimmte Bücher nicht gut verkaufen werden, aber sie publizieren sie dennoch. Einige LGBT+ Verlage tun dies, um inklusiv zu sein, in vollem Bewusstsein darüber, dass Bücher über ältere Lesben oder auch eine Biographie über eine lesbische Pionierin sich nicht annähernd so gut verkaufen werden wie das Buch über die die coole Ärztin und die sexy Polizistin. Aber die LGBT+ Verlage verlegen die Bücher dennoch. Weil es wichtig ist.

Ein weiteres Beispiel sind junge LGBT+ Autor*innen. Für Mainstreamverlage sind diese Autor*innen eine Nische ohne Nische. Das bedeutet, sie stellen ein Risiko dar, an das sich viele Verlage nicht herantrauen. LGBT+ Verlage hingegen wissen, dass junge LGBT+ Autor*innen neue Ideen mitbringen, ungehörte Geschichten und ungewohnte Perspektiven, und dass sie einen Dreh haben, den die ältere Autor*innen nicht haben. Und was das Risiko angeht? Siehe oben. Abgesehen davon: Wie wären junge Leser*innen besser zu erreichen, als durch junge Autor*innen?

Das Fazit lautet also: Wer jemals von Bibliodiversität gehört hat – die kulturelle Diversität im Bereich der Verlagswelt – der und die weiß, dass es dringend notwendig ist, so viele diverse Bücher wie möglich in die Welt hinauszubringen. Und LGBT+ Verlage machen genau das.

 

Die Zukunft lautet zurückkämpfen

Bei allem, was LGBT+ Verlage tun, ist ihnen immer bewusst, dass die meisten ihrer Leser*innen in liberalen Ländern leben. Viele andere Menschen haben nicht dieses Glück – wir möchten dies als Glück bezeichnen, auch wenn in Ländern wie Deutschland, Großbritannien oder den USA auch nicht alles rosig ist. Aber hey, zumindest steht es hier nicht unter Strafe, LGBT+ zu sein. Es gibt viele Orte und Länder, in denen LGBT+ Menschen allein durch ihre Existenz großen Risiken ausgesetzt sind. Und diese Leser*innen dürfen wir nicht vergessen. Übrigens ist eines der Top 10 Länder, in denen Ylva Romane gekauft werden, Russland! LGBT+ Literatur ist für Leser*innen oft auch eine Möglichkeit der brutalen oder auch nur grauen Realität zu entfliehen.

Wie sagte es der LGBT+ Aktivist und oscarausgezeichnete Drehbuchautor Dustin Lance Black so schön: “Telling stories is one of the most potent skills in changing culture, because it starts with changing hearts.” (Auf Deutsch etwa: “Geschichten zu erzählen ist eine der mächtigsten Fähigkeiten überhaupt, wenn es darum geht, unsere Kultur zu verändern, denn dies beginnt damit, Herzen zu verändern.“)

Wir als Teil der LGBT+ Verlage möchten weiterhin in neue, diverse Bereiche vordringen. Aber es gibt noch mehr, was wir tun können. Die meisten LGBT+ Verlage repräsentieren nicht alle Buchstaben des LGBTQIA+ Spektrums. Aber wir sind auf dem Weg dorthin.

Bildnachweis: Unsplash/Sara Rampazzo

Milena Klein ist ehemalige Praktikantin des Ylva Verlags. Sie lebt in Mainz und studiert an der Johannes Gutenberg-Universität Buchwissenschaften und Kulturanthropologie.

Dieser Beitrag ist zuerst auf Englisch erschienen:
www.ylva-publishing.com/2018/09/26/lgbt-publishers-beating-big-boys


Wir sind auch dieses Jahr wieder bei der Buchmesse in Frankfurt am Main mit einem eigenen Stand vertreten. Kommt vorbei! Halle 4.1 E55, vom 10.-14. Oktober 2018


4 gute Gründe, LGBT+ Verlage zu lieben
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