Annika ist Anfang 30 und für einen neuen Job nach Berlin gezogen. Ihre Partnerin, ihr Hund und ihre Bücherregale voller Lesbenromane sind am anderen Ende des Landes in der gemeinsamen Wohnung geblieben. Aus der Vollzeit- wurde eine Wochenendbeziehung. Bislang klappte das ganz gut, aber wird das auch so bleiben? Und welche lesbischen Liebesromane befassen sich mit der schwierigen Zeit zwischen dem „frisch verliebt sein“ und dem „glücklich bis ans Lebensende“?
Bücher als Rückzugsraum
Angesichts der derzeitigen Vielfalt von Katastrophen, denen wir nahezu ohnmächtig gegenüberstehen – der Corona-Pandemie, dem russischen Angriffskrieg auf europäischem Boden und der Klimakatastrophe, um nur einige der größten zu nennen –, brauchen wir Ablenkung, Entspannung und Achtsamkeit mehr denn je.
So geht es mir zumindest. Seit meiner Kindheit bilden Bücher diese Rückzugsräume für mich, heute im Idealfall gemeinsam mit einer Tasse Kaffee und meinem Hund, der leise und zufrieden im Körbchen neben dem Sofa schnarcht.
Neben einer Flucht aus dem politischen Weltgeschehen und den Herausforderungen des Alltags bedeutet das Lesen lesbischer Literatur für mich aber noch mehr als das. Während ich die Werke lesbischer Autor*innen lese, fühle ich mich mit der Community verbunden. Die meisten meiner Freund*innen sind hetero und auch meine bisherigen Partnerinnen hatten eher wenig Interesse daran, sich mit anderen Lesben auszutauschen und zu vernetzen. In meinen Jobs war ich in der Regel die einzige geoutete Lesbe. Irgendwie habe auch ich so den aktiven Einstieg in die Community bislang verpasst. Vielleicht auch, weil mir der Zugang zu queeren Büchern, Filmen, Serien, Musik und Fanfiction reicht, um mich zugehörig zu fühlen.
Je älter ich wurde, desto mehr wusste ich das wachsende Angebot an lesbischen Romanen zu schätzen. Es gab, so schien es mir, für jeden Geschmack und jede Vorliebe etwas. Das Angebot ist so vielfältig wie die Community selbst. Jetzt aber, mit Anfang 30, während sich um mich herum alle niederlassen, heiraten, Kinder kriegen und erste Kredite für Häuser aufnehmen, wächst in mir eine zunehmende Ungeduld. Will ich das auch alles? Und warum kommen diese Themen so häufig in Hetero-Büchern vor und viel seltener in lesbischen Liebesromanen?
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …
In den meisten meiner so geliebten Bücher geht es um die Liebe auf den ersten Blick, um Slow-burn- und um Gegensätze-ziehen-sich-an-Geschichten und am Ende dieser Bücher gibt es – Gott sei Dank – meist ein Happy End, bei dem die beiden Frauen endlich zusammenkommen. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne … und dann? Was passiert dann? Bestenfalls leben sie glücklich bis an ihr Lebensende. Aber was passiert dazwischen?
Um es mit den Worten der britischen Singer-Songwriterin Heather Peace zu sagen:
„When the story ends, it’s only just the start.
You never read about all the drink and the fights after dark.
We only see the first kiss, there are years together we miss.
Oh fairytales have got a lot to answer for.“
Ich bin der festen Überzeugung, dass Coming-of-Age-Geschichten wichtig sind und Menschen dabei helfen können, herauszufinden, welcher Weg für sie der richtige sein könnte – oder zumindest welche Richtungen sie ausprobieren möchten. Das ist aber nur eine von vielen Entscheidungen, die uns im Laufe des Lebens prägen und ich würde mir sehr wünschen, dass noch mehr Autor*innen solche Fragen aus queerer Perspektive thematisieren.
Emma Gannon beschreibt in ihrem wundervollen Buch „Olive“, was es heißen kann, sich als Frau Anfang 30 im Gegensatz zum gesamten Freundeskreis gegen eigene Kinder zu entscheiden. Ich denke aber, dass diese Frage für lesbische Frauen noch ganz andere Komponenten haben kann, denn da könnte die Entscheidung für oder gegen Kinder eben auch mit sehr praktischen und unromantischen Fragen über potenzielle Samenspender, Stiefkindadoption und Finanzierung künstlicher Befruchtung einhergehen.
Die Frage nach dem Kinderwunsch ist aber wohl nur die typischste für Frauen mittleren Alters. Es gibt unzählige Herausforderungen, die auf lesbische Paare zukommen, wenn sich der erste mächtige Sturm des Verliebtseins etwas gelegt hat. Was passiert, wenn Gefühle nachlassen? Was, wenn die eine Partnerin für einen Job ans andere Ende des Landes ziehen muss? Was passiert nach Schicksalsschlägen, Traumata, Krankheit, Seitensprüngen? Was passiert in lesbischen Beziehungen angesichts der ganz normalen alltäglichen Herausforderungen des Lebens? Wie können Paare wachsen, Beziehungen sich verändern und trotzdem am Ende stärker daraus hervorgehen?
Die deutsche Schauspielerin Nora Tschirner hat einmal in einem Interview gefragt: „Ist es nicht spannender, zu gucken, was auf Level 15 noch passiert, auch wenn Level 2 bis 5 echt wie Armageddon aussehen?“
Ich bin mir sicher, dass viele Autor*innen diese Fragen stellen und bitte daher um eure Schwarmintelligenz. Welche Bücher könnt ihr empfehlen? Gibt es so etwas wie den italienischen Film „Io e lei“ im Buchformat? Oder eine vielleicht etwas kondensiertere Version von den „Fosters“? Welche Geschichten werfen ernste Fragen auf und passen dennoch in unser so heiß geliebtes Genre der lesbischen Liebesromane?
Ich freue mich über jeden Hinweis, denn ich bin sicher, dass es solche Bücher gibt. Und ich kann es kaum erwarten, sie zu lesen.
Annika, 31, lebt zur Hälfte für den Job in Berlin und zur Hälfte mit Hund und Partnerin am andere Ende Deutschlands. Sie bezeichnet sich selbst als Lesbe, Politik-Junkie und Tierliebhaberin und versucht stets die Stapel neu-gekaufter und gelesener Bücher in Balance zu halten.