Als die Gesellschaft beschloss, dass Körperhaare schmutzig und hässlich sind, nickte Élisabeth Chevillet und entledigte sich ihrer. Jetzt überlegt sich die französische Bloggerin und Basketballerin das Ganze noch einmal. Schließlich sind Haare menschlich!
Ich hatte schon immer ein kompliziertes Verhältnis zu meinen Körperhaaren. Als Kind war es meine größte Sorge, keine zu haben – abgesehen davon, dass ich nicht menstruierte und Jungfrau war. Ich wollte so sehr welche haben, dass ich mir einmal den nackten Schambereich rasierte, weil das angeblich den Haarwuchs fördern sollte. Und wisst ihr was? Sobald meine Haare anfingen zu wachsen, habe ich mich daran gemacht, sie alle zu entfernen.
Ich würde gerne sagen, dass ich als Frau automatisch antisexistisch bin, so wie eine Lesbe zu sein mich von homophoben Denkweisen befreien würde. Breaking News: So ist es nicht. Wir leben in einer Welt, die von alten weißen Männern regiert wird, die uns sagen, was wir zu tun, zu denken und zu wollen haben. Also wurde ich, genau wie ihr, dazu erzogen, meine Körperhaare zu hassen. Und seien wir ehrlich, das Training hat Wunder gewirkt.
ICH DACHTE, ICH HÄTTE MICH FREIWILLIG RASIERT
Als ich mich vor ein paar Jahren für die Laser-Haarentfernung entschied (nein, sie ist nicht dauerhaft und ja, sie ist schmerzhaft), hatte ich eine Begründung dafür. Ich wurde ganz sicher nicht unbewusst von Männern und der Werbung einer Gehirnwäsche unterzogen: Ich fand Körperhaare tatsächlich hässlich. Ich war davon überzeugt, dass es meine freie Entscheidung war, nackt vor einer Frau zu liegen, die Elektroschocks durch jeden Zentimeter meiner Schamlippen jagte. Spoiler-Alert: Das hatte rein gar nichts mit Freiheit zu tun.
Vielleicht habt ihr gemerkt, dass heutzutage jede*r über Dekonstruktion spricht. Und das ist eine gute Sache. Im Grunde bedeutet es, dass wir unsere Glaubenssysteme in Frage stellen, was selten ein angenehmer Prozess ist.
Es war nicht leicht, mir meine eigene verinnerlichte Lesbenfeindlichkeit einzugestehen. Vor allem als Lesbe. Es war nicht einfach, zu erkennen, dass ich sexistische, rassistische und fettfeindliche Denkweisen verinnerlicht hatte. Und es war gewiss nicht angenehm zu erkennen, dass die Entscheidung, meine Körperhaare „dauerhaft“ zu entfernen, mich zu einem perfekten Produkt der Mainstream-Gesellschaft machte.
DEUTSCHE FRAUEN RASIEREN SICH NICHT
Wir sind darauf konditioniert, dass weibliche Körperhaare schmutzig sind. Ich erinnere mich daran, dass Kinder in der Schule sagten, deutsche Frauen würden sich nicht die Achseln rasieren – und das sei angeblich sehr, sehr ekelhaft. Ich habe diese Dinge nie hinterfragt. Ich bin damit aufgewachsen, dass Frauen sich die Augenbrauen zupfen, die Beine epilieren und die Schamhaare rasieren. Und es ist mir nie in den Sinn gekommen, diese zeitaufwändigen und schmerzhaften Rituale zu reflektieren.
Ich habe mir nie die Frage gestellt, warum Frauen neben der Gratisarbeit, die sie sieben Tage die Woche zu Hause verrichten mussten, auch noch als dünne, haarlose, lächelnde Wesen erscheinen sollten. Ich habe mich nie gefragt, ob der so genannte weibliche Körper ein Werkzeug zur Aufrechterhaltung des Patriarchats war. Ich habe die Norm nie in Frage gestellt, denn ich war zu sehr damit beschäftigt, mich anzupassen.
BODY HAIR, DON’T CARE
Letztes Jahr besuchte mich meine Cousine aus Berlin zu meinem Geburtstag. Sie trug kurze Hosen und wir kamen auf ihre Beine zu sprechen. Sie hatte sie seit fünf Jahren nicht mehr rasiert und fühlte sich sehr wohl dabei. Ihre Frau finde ihre Haare sogar extrem sexy, sagte sie. Plötzlich empfand ich Bewunderung für meine jüngere Cousine. Früher war ich ihr lesbisches Vorbild, aber jetzt war sie die Coole. Ich bewunderte ihre Freiheit.
Ein paar Wochen später hörte meine Freundin auf, sich die Achseln zu rasieren. Und ich muss sagen, dass die Frau meiner Cousine Recht hatte. Mensch, ihr Haar ist sexy! Ich bestärkte meine Freundin darin, trotz der unangenehmen Kommentare ihres konservativen Umfelds ihrem Herzen zu folgen.
Jedes Mal, wenn meine Freundinnen mit unrasierten Achseln, Beinen und Bikinizonen herumliefen, feierte ich ihre Coolness. Aber ich hatte auch das starke Gefühl, dass ich selbst noch nicht bereit war, cool zu sein. Und wieder hatte ich die perfekte Erklärung: Ich bin eine Basketballspielerin. Wie um alles in der Welt hätte ich mit einem ungezähmten Busch Achselhaare unter zwanzig glatt rasierten Frauen spielen können?
KÖRPERHAARE-REBELLION
Und dann passierte es. Ich weiß nicht genau, wie. Vor sechs Monaten habe ich aufgehört, meine Körperhaare zu rasieren. Ich habe keine bewusste Entscheidung getroffen – die Idee hat sich still und leise in meinem Kopf festgesetzt. Ich würde am liebsten sagen: „Es ist so einfach. Kommt schon, Leute, macht es mir nach.“ Aber das wäre eine Lüge. Der Teil mit dem Basketball war nicht so schwer: es war Winter, das heißt, ich trug Leggings und lange Ärmel.
Am Anfang war das Duschen in der Halle unangenehm. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, auch wenn ich mich jedes Mal oute, wenn ich dusche, und eine neue Person anwesend ist. Denn die Leute merken es – und ich sehe, wie überrascht sie sind. Aber was kann ich tun? Ich stelle mich vor und sage: „Freut mich, dich kennenzulernen! Mein Name ist Élie und ich rasiere mich nicht.“
Auch bei der körperlichen Intimität hatte ich anfänglich Schwierigkeiten. Als meine Beine anfingen, wie die eines pubertierenden Teenagers auszusehen, der mit dem Haarwuchs zum ersten Mal konfrontiert wird, war ich nicht so erpicht darauf, mich vor meiner Freundin auszuziehen. Aber seit ich mit ihr darüber gesprochen habe und sie mir ein starkes Gefühl von Sicherheit gibt, fühle ich mich wieder selbstbewusst.
MEINE KÖRPERHAARE SIND HEISS
Es gibt also nur noch ein Problem: Der Sommer kommt. Ich trage wirklich gerne kurze Hosen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich so auf die Straße traue. Vielleicht werde ich wieder anfangen, mich zu rasieren. Oder vielleicht mache ich es wie meine Freundin Nadine. Wenn sie sich verletzlich fühlt, trägt sie einfach eine lange Hose.
Was auch immer passiert, das Erstaunliche an dieser inneren Reise ist, wie sich meine eigenen Gefühle verändert haben. Als meine Haare zu wachsen begannen, fand ich meine Beine wirklich hässlich. Aber ich habe mich nicht rasiert, weil ich Körperhaare als einen Akt der Rebellion empfand und weiterhin experimentieren wollte. Im Laufe der Wochen begann ich meinen behaarten Körper völlig überraschend zu mögen. Heute hat sich meine Sichtweise radikal geändert. Wenn das Wasser an meinen Beinen herunterläuft, gefällt es mir, wie sich die Haare auf meiner Haut verdunkeln. Es gibt sogar Tage, an denen ich es ziemlich heiß finde. Ich glaube, das nennt man Dekonstruktion: Ich habe verlernt zu glauben, dass meine Körperhaare hässlich ist. Und ich bin verdammt stolz darauf.
Bilder: Anna Ricarda Fabian – Website: far-photography.de – Instagram @theoutfluencerin
Élisabeth Chevillet ist eine französische lesbische Bloggerin und Aktivistin. Folgt Élie auf Instagram: @eliechevillet