Öffentliche Toiletten werden zu einer Herausforderung, wenn man nicht wie eine ‚weibliche‘ Frau aussieht. Die französische lesbische Bloggerin und Aktivistin Élisabeth Chevillet schildert einige schmerzhafte Erfahrungen, mit denen queere Menschen konfrontiert werden, wenn sie einfach nur in Ruhe eine öffentliche Toilette nutzen wollen.

Stereotype, Toiletten und engstirnige Gesellschaften

Liebe Nutzer*innen öffentlicher Toiletten,

habt ihr jemals darüber nachgedacht, wie es sich anfühlt, aus Angst vor Belästigungen lieber nicht auf ein öffentliches Klo zu gehen? Frage meiner Mitbewohnerin.

Meine Mitbewohnerin ist lesbisch. Sie ist 1,93 m groß und hat kurze Haare. Sie trägt weder Highheels noch Make-up. Ihre Lieblingsfarbe ist blau – sie hasst pinke und girly Dinge. Ihre Kleidung kommt aus der Herrenabteilung. Ihr vermutet es wohl schon:

sie entspricht nicht den Geschlechterstereotypen unserer oft engstirnigen Gesellschaft.

Lasst mich euch erzählen, was auf öffentlichen Toiletten passiert, wenn ihr nicht so ausseht, wie Stereotype es vorschreiben. Mit Glück werdet ihr nur angegafft. Die Chancen sind jedoch recht hoch, dass ihr belästigt oder beleidigt werdet. Körperliche Übergriffe sind auch nicht unüblich.

Strategien gegen menschliche Dummheit

Was macht ihr in einer Welt, in der gut durchdachte Unisextoiletten noch nicht die Norm sind? Wenn ihr euch gerade nicht stark genug fühlt, euch mit noch mehr übergriffigen Personen auseinanderzusetzen? Ihr hört auf, aufs Klo zu gehen. Ihr trinkt nichts, damit ihr durch den Tag kommt und dann zu Hause eure eigene Toilette benutzen könnt. Weil es ein sicherer Ort ist.

Als ich meine Mitbewohnerin kennengelernt habe, war ich überrascht, wie wenig sie trinkt. Ich dachte, sie hat eine Art Superkraft: die Frau braucht einfach kein Wasser. Ich lag falsch. Sie hat sich nur eine Strategie angeeignet, um mit der menschlichen Dummheit umzugehen.

Wir waren auf Sizilien, als ich das erste Mal in einer solchen Situation dabei war. Wir sind auf die Damentoilette gegangen. Meine Mitbewohnerin zuerst – dann ich. Neben der Eingangstür wartete ein Mann auf jemanden. Als meine Mitbewohnerin die Tür öffnete, brüllte der Typ ihr hinterher: „Moment mal! Was glaubst du, was du da machst?“

Sie ging weiter, ohne ihn zu beachten. Der Mann rastete aus und beschimpfte sie hysterisch (aber es hat niemand gefragt, ob er gerade seine Tage hat). Ich drehte mich um, rollte mit den Augen und sagte: „Lass sie in Ruhe! Sie ist eine Frau.“

Der Mann fühlte sich offensichtlich in der Situation nicht wohl, aber er entschuldigte sich auch nicht. Stattdessen schaute er etwas peinlich berührt drein und lächelte mich an; vermutlich sollte das charmant wirken. Diese Situation ist Jahre her – aber fragt lieber nicht, wie oft sich diese Geschichte seitdem wiederholt hat.

Diskriminierung auf öffentliche Toiletten außer- und innerhalb der LGBTIQ+-Community

Am ersten Oktober 2021 öffneten die Clubs in Bayern wieder. Nach dem langen Coronalockdown freute sich meine Mitbewohnerin, wieder feiern gehen zu können. Drei Tage in Folge ging sie in Clubs und ratet mal, was passiert ist? Die Toilettenbelästigung wiederholte sich an jedem Abend. Eines dieser Event war sogar eine queere Party. Also ja, Diskriminierung auf den Toiletten passiert auch innerhalb unserer LGBTIQ+-Community. Der andere Punkt ist: Die Täter sind auch Frauen. An dem Samstag stellte sich eine Frau in den Türrahmen, um damit den Einlass zu verhindern. Eine andere versuchte meiner Mitbewohnerin an die Brüste zu fassen, um zu kontrollieren, ob sie tatsächlich eine Frau ist. Die dabei benutzten Beleidigungen möchte ich nicht wiederholen.

Diese Erfahrung hat einen bitteren Beigeschmack bei meiner Mitbewohnerin hinterlassen und machte mich rasend vor Wut. So fragte ich sie, was helfen würde. Wir fingen an, nach Lösungen zu suchen. Haben versucht, uns genderinklusive öffentliche Toiletten vorzustellen. Zerbrachen uns die Köpfe, wie wir Sicherheit für alle, die nicht ins Schema passen, bieten können, ohne eine Gefahr für andere Frauen zu schaffen.

Wir haben uns über den systematischen Sexismus, der sich hinter langen Warteschlangen vor den Damentoiletten verbirgt, gesprochen: Herren- und Damentoiletten haben nach wie vor die selbe Größe, obwohl erwiesen ist, dass Frauen sich dort öfter und länger aufhalten als Männer. Und nein! Es liegt nicht daran, dass wir uns auf den Toiletten ständig schminken und tratschen. Wir pinkeln im Sitzen, was mehr Raum benötigt, während Urinale die Kapazität von Herrenklos verdoppeln. Hinzu kommt, dass manche Frauen ihre Tage bekommen, schwanger werden (und daher öfters auf die Toilette müssen), stillen und Kinder haben (die mit uns das Klo nutzen) – nicht zu vergessen die sogenannte Frauenkleidung, die mehr Zeit in Anspruch nimmt.

Herrentoiletten sind aus den gleichen Gründen ebenfalls ein Problem für trans Männer. Dort gibt es nicht mal Mülleimer in den Kabinen und man läuft ständig Gefahr sich versehentlich zu outen, wenn man die Tampons entsorgen will. Das ist je nach Location ziemlich gefährlich. Ein anderes Problem: in Herrentoiletten gibt es keine Wickeltische. Väter, egal ob trans oder cis, müssen in Damentoiletten gehen, um ihre Kinder zu wickeln…

Wir haben keine Lösung gefunden. Wir haben nichts gefunden, das jetzt den Toilettengang zu einer sicheren Sache für meine Mitbewohnerin machen würde. Ihre Freundin wird sie also wohl weiterhin aufs Klo begleiten müssen, um sie beim nächsten körperlichen oder verbalen Übergriff zu unterstützen. Könnt ihr euch vorstellen, wie es sich für eine Frau Mitte dreißig anfühlt, jedes Mal aufs Klo eskortiert zu werden?

Ein Appell an uns alle!

Gesellschaftspolitische Veränderungen brauchen Zeit – besonders wenn sie von grauhaarigen cis-hetero Männern kommen sollen, die sich überhaupt nicht für unsere Probleme interessieren. Unser eigenes Verhalten zu ändern, das geht hingegen in Sekunden. Also Leute! Wir müssen uns zusammenreißen.

Bis wir Toiletten entwickeln, in denen sich alle Geschlechter sicher fühlen (und es ist höchste Zeit), müssen wir dringend unsere Ideen, wie Männer und Frauen aussehen sollten, dekonstruieren. Eigentlich sollten wir Genderbinarität im Allgemeinen dekonstruieren.

Also das nächste Mal, wenn ihr einen Menschen in einer öffentlichen Toilette antrefft, der überhaupt keinen Stress macht, aber eben nicht in euer Geschlechterbild passt, wisst ihr, was zu tun ist: einfach die Klappe halten.

Wenn meine Mitbewohnerin mit euch sprechen könnte, würde sie fragen: „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand die falsche Toilette benutzt? Wie wahrscheinlich ist es, dass ich die ganzen anderen Frauen um mich herum nicht bemerkt habe?“ Sie würde euch sagen, dass ihr zwei Mal nachdenken solltet, bevor ihr ausrastet. Sie würde auch sagen: „Hinterfragt euch erstmal selbst, bevor ihr meine Anwesenheit hinterfragt.“ Und sie hätte vollkommen recht.

Meine Mitbewohnerin und die Menschen, die auf öffentlichen Toiletten Probleme haben, wollen nicht die Welt. Sie wünschen sich nur, mit Würde aufs Klo gehen zu können. Also lasst sie in Ruhe!

Queere Grüße,

Élie Chevillet

PS: Auch ein Punkt, wenn ihr meine 1,93 m große Mitbewohnerin seht: Bitte erzählt ihr nicht, dass sie groß ist. Sie weiß schon Bescheid.


Follow Élie on Instagram: @eliechevillet

Illustrations: @nontirakigle

Lasst uns in Ruhe pinkeln! Wenn öffentliche Toiletten zum Problem werden

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