Die französische lesbische Bloggerin Élie Chevillet fragt sich, wie es sein kann, dass sich im Jahr 2023 queere Familien immer noch rechtfertigen müssen, dass sie ihre Kinder außerhalb des traditionellen Familienmodells großziehen. Unseren Kindern geht es gut – und es ist beunruhigend, dass so viele Menschen das immer noch infrage stellen.

Ich wollte nie Kinder haben. Ich bin lesbisch, also hätte ich sowieso nicht das männliche Vorbild bieten können, das meine hypothetischen Kinder vielleicht gebraucht hätten. So dachte ich auch noch mit Anfang 20. Als meine damalige Freundin mir sagte, dass ich wie eine AfD-Wählerin reden würde, war ich verwirrt. Ich hatte gerade die erste Begegnung mit meiner verinnerlichten Homophobie.

Das Haus brennt

Ich wollte nie Kinder haben, aber meine Partnerin hat zwei. Manchmal nimmt das Leben unerwartete Wendungen, und die beste Art, damit umzugehen, ist es anzunehmen. 

Jetzt lebe ich mit zwei Jungs, ihrer Mutter – die auch meine Partnerin ist – und ihrem Vater zusammen. Je mehr Zeit ich mit den Kindern verbringe, desto mehr spüre ich die große Verantwortung, die Eltern gegenüber der queeren Community haben. 

Wir können nicht zulassen, dass die Kinder des 21. Jahrhunderts den Mist verinnerlichen, den wir uns selbst angehört haben. Wir können uns keine weitere queerphobische Generation leisten. Wir müssen die Kette des Schmerzes durchbrechen. Das Haus brennt immer noch.

Einen sicheren Raum bieten

Kinder glauben das, was sie zu Hause hören. Das ist ihre erste Quelle der Wahrheit, die sie mit ins Leben nehmen. Sie stellen Hassreden nicht infrage: Sie nehmen sie so hin, wie sie sind – bis sie selbst in der Lage sind, diese zu hinterfragen.

Bei uns zu Hause fragen die Kinder nicht, warum ihre Mutter eine andere Frau liebt. Sie fragen nicht, warum Mutter und Vater noch im selben Haus wohnen, obwohl sie kein Paar mehr sind. Sie fragen nicht, wie es sein kann, dass ihr Vater und ich uns mögen. Das ist unsere Realität, und für sie ist es ganz natürlich.

Aber die Welt um uns herum teilt unsere Normalität nicht. Und wir können unsere Kinder nicht vor Hassreden schützen. Wir können ihnen nur einen sicheren Raum bieten, in dem sie ihre Gefühle verarbeiten können.

Mobbing im Kindergarten

Neulich zeigte die Erzieherin den Kindern ein Buch mit queeren Familien. Eine davon war ein lesbisches Paar mit einem Kind. Als das Kind meiner Partnerin das sah, strahlte es. „Ich habe auch zwei Mamas“, rief er freudig, obwohl er ein schüchterner Junge ist.

Ein anderes Kind lachte ihn aus. „Es ist unmöglich, zwei Mamas zu haben! Du bist so dumm, und deine Mutter ist auch dumm!“ 

Es ist dasselbe Kind, das ihm jedes Mal sagt, dass er ein Mädchen ist, wenn er sich die Nägel lackiert, das sich über ihn lustig macht, wenn er „Mädchenfarben“ wählt, und das ihn schikaniert, wenn er nicht das tut, was man von einem Jungen erwartet. 

Wir unterziehen unsere Kinder einer Gehirnwäsche

Jungs tragen kein Pink, kein Make-up und keine Kleider. Solche Ideen, die aus Marketinggründen erfunden wurden, entstehen nicht einfach in den Köpfen unserer Kinder. Kinder interessieren sich von Natur aus nicht für solche Dinge. Sie sind spontan: Sie nehmen Menschen und Situationen so, wie sie sind. Es sind die Erwachsenen, die sie mit ihren engen Weltbildern einer Gehirnwäsche unterziehen. Und wer nicht in unsere Schubladen passt, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit, viel Leid zu erfahren.

Homophobie geht alle an

Wir haben eine kollektive Verantwortung, unsere Erziehungsmuster zu verlernen – und sie auf den Müll zu werfen, wenn sie anderen Leid zufügen. Mittlerweile haben Kinder zunehmend ein Bewusstsein für alle Arten von Diskriminierung, und das ist gut so. Aber das reicht nicht aus. 

Solange Teenager Selbstmord begehen, weil sie nicht heterosexuell sind, ist das nicht genug. Solange Kinder durch die Hölle gehen müssen, weil sie trans sind, ist es nicht genug. Solange queere Menschen nicht überall sicher sind, ist es nicht genug. Keiner von uns wird frei sein, bis wir alle frei sind. 

Was ist, wenn die Kids queer werden?

Während des Pride-Monats wurden meine Partnerin und ich als verantwortungslos bezeichnet, weil wir die Jungs zu einem Dyke March mitgenommen haben – einer Demonstration für die Rechte und die Sichtbarkeit von Lesben und queeren Frauen. Ich war besonders stolz, mit ihr und den Kindern hinzugehen.

„Was wird aus meinen Enkelkindern?“, rief der Vater meiner Partnerin, nachdem er ein Foto von uns bei der Demonstration in der Zeitung gesehen hatte. 

„Was, wenn sie queer werden?“, meinte er tatsächlich. 

„Was, wenn?“, fragte ich. „Außerdem, hatte Ihre Tochter als Kind jemals Kontakt zu queeren Menschen?“ 

„Niemals“, antwortete er. 

„Das hat sie aber auch nicht davon abgehalten, lesbisch zu werden, oder?“

Wir lieben dich …

Es ist ganz einfach: Unsere Kinder werden sein, wer sie sind, unabhängig davon, wer wir sind. Und das ist genau das, was wir wollen. Vielleicht werden sie hetero, vielleicht werden sie queer – das spielt keine Rolle.

Unsere Liebe ist bedingungslos. Sie müssen sich sicher fühlen, um zu entdecken, wer sie sind, und um zu werden, wer sie sein wollen. Unsere Aufgabe ist es, sie auf ihrem eigenen Weg zu begleiten, anstatt unsere Vorstellung von Erfolg und Glück auf sie zu projizieren.

… wer immer du bist, wen immer du liebst

Queere Menschen können die ganze Aufklärungsarbeit nicht allein leisten. Wir brauchen starke Verbündete. Es liegt in der Verantwortung aller Eltern und Erziehungsberechtigten, ihren Kindern zu vermitteln, dass es in Ordnung ist, zu lieben, wen man liebt, so zu sein, wie man ist, und dass beides für alle Menschen gilt.

Nichts zu beweisen

Wir haben 2023. Queere Kinder sollten sich sicher fühlen, genauso wie Kinder aus queeren Familien. 

Wir haben 2023. Wir wissen inzwischen, dass das Mutter-Vater-Kind-Modell ein soziales Konstrukt ist, das in der Hälfte der Fälle der Realität nicht standhält. Die Schäden des Patriarchats sind in den traditionellen Familien allgegenwärtig. Warum also um alles in der Welt, sollten sich queere Menschen für die bloße Existenz ihrer eigenen Familie rechtfertigen müssen? Warum müssen wir beweisen, dass wir glückliche Kinder großziehen können?

Wir haben 2023. Den Kindern geht es gut – danke fürs Nicht-Fragen.


Élie Chevillet ist eine französische lesbische Bloggerin und Aktivistin. Du findest weitere Blogbeiträge von Élie für den Ylva Verlag hier.

Folge Élie auf Instagram: @eliechevillet

Den Kindern geht’s gut – danke fürs Nicht-Fragen

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