Die französische lesbische Aktivistin Élie Chevillet vergleicht die Realität in ihrer queeren Gemeinschaft mit der Realität, die ihre Partnerin mit fundamentalistisch religiöser Vergangenheit erlebt.
„Was du mit Élie machst, ist falsch. Wir vermissen unsere Anna. Es ist noch nicht zu spät − komm zurück.“ Das sind die Weihnachtswünsche, die meine Partnerin von ihrer Schwester erhielt. Eigentlich war da noch mehr: „Du bringst deinen Kindern bei, dass sie jeden lieben können, solange es sie glücklich macht, ist dir das klar?“
„Ja, ist mir klar. Und das ist genau, was ich ihnen weitergeben will.“ Das wäre meine Antwort gewesen, aber die homophobe Schwester hat nicht nach meiner Meinung gefragt.
Wer ich bin, zählt nicht. Sie hält mich für eine Sünderin, die ihre jüngere Schwester vom rechten Weg abgebracht hat. In ihren Augen sind wir vom Teufel besessen. „Du bringst Dämonen in dein Haus“, warnte sie Anna vor ein paar Monaten.
Liebe ist Liebe, Ende der Geschichte?
Ich wurde aufgezogen von einem atheistischen Mann in Frankreich, einem laizistischen Land. Ich bin zwar schon früh mit Homophobie konfrontiert worden, aber die Wurzeln dafür lagen nicht in der Religion. Im Gegenteil, ich erinnere mich an schöne Worte, die ich von religiösen Freund*innen gehört habe.
Eine davon war Magdalena, die gerade ihrem Mann und ihrem Schwager − beide gläubige Muslime − von ihrem Urlaub bei uns erzählt hatte. Als ich sie fragte, was ihre Familie davon halte, dass sie Zeit in einem lesbischen Haus verbringe, sagte sie: „Élie, es ist Liebe und Gott ist Liebe.“
Mag hatte es auf den Punkt gebracht. Liebe ist Liebe. Ende der Geschichte.
Vom Teufel besessen
Mein größtes Erlebnis mit religiöser Homophobie hatte ich in Deutschland. Es war mit meinem-christlichen-Freund-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf, weil er nicht out ist.
Unsere Freundschaft hatte sich entwickelt, bevor ich von seiner Identität oder seiner Homophobie erfuhr. An dem Tag tranken wir etwas bei mir zu Hause und das Thema „Gender-Ideologie“ in der Schule kam zur Sprache.
„Diese Leute sexualisieren, pervertieren und verwirren die Kinder, indem sie ihnen von sexueller Orientierung und Genderidentitäten erzählen. Homosexuelle sind vom Teufel besessen.“ Trans-Menschen waren übrigens in seinen Augen gleichermaßen böse.
Es war für mich okay, mit ihm zu streiten, bis er damit herausplatzte: „Ich mag dich“, sagte er, „aber du bist vom Teufel besessen.“
Ich verstand seine Gefühlslage erst, als er sich outete. „Ich wurde mit weiblichen Geschlechtsorganen geboren“, sagte er und zitterte vor Wut. „Du und ich, wir sind gar nicht so verschieden.“
Die Offenbarung seiner Genderidentität war mir egal; mir ging es darum, dass mein Freund mir in meiner eigenen Wohnung Angst machte − und dachte, wir seien beide besessen. Obwohl er Rassismus, Sexismus, Homophobie und Transphobie erlebt hatte, benutzte er selbst Hassreden, um Teil seiner christlichen Gemeinschaft zu bleiben.
Die lesbische Sünde
Heute lebe ich von einer wundervollen queeren Gemeinschaft umgeben. Diese Erfahrungen sind weit weg. Oder sie waren weit weg, bis ich Anna traf.
Als wir uns verliebten, war sie noch mit ihrem Mann zusammen. Sie lebten ein „perfektes“ Familienleben mit ihren zwei Kindern.
Die Trennung war wie ein Erdbeben. Nicht für sie. Nicht für ihn. Aber für alle anderen um sie herum: ihre Familien, ihre Freund*innen und ihre sehr, wirklich sehr religiöse Gemeinschaft.
Die Entscheidung reichte aus, um aus Anna eine Sünderin zu machen. Sie zerstörte ihre Ehe und wählte den einfachen Weg, anstatt zusammenzuhalten. Alle haben versucht, sie wieder auf den „richtigen Weg“ zu bringen, was offensichtlich nicht funktioniert hat. Damals wussten die Leute noch nicht einmal von mir.
Wenn es so etwas wie eine Sündenhierarchie gibt, dann stand Anna an der Spitze, als sie sich als lesbisch outete.
Fundamentalistisch aufgewachsen
Als ich Anna kennenlernte, war mir nicht klar, woher sie kam − bis eine Freundin mich zufällig über den Fundamentalismus von Annas Familie aufklärte.
Ich versuchte, Anna zu zeigen, dass meine Liebe für sie bedingungslos war und dass ihre Religion kein Problem für mich darstellte. Langsam ließ sie die Scham beiseite und begann, mir diesen Teil ihrer Welt zu zeigen.
„Meine Eltern waren Missionare.“ Die Information fühlte sich an, als hätte ich das fehlende Teil eines Puzzles gefunden. Endlich verstand ich, warum Anna als Kind so viel Zeit in Afrika verbracht hatte.
Außerhalb meiner queeren Blase
Meine Beziehung mit Anna erinnert mich daran, dass die Welt außerhalb meiner queeren Gemeinschaft hart ist.
Es ist eine Welt, in der man eine übermenschliche Menge an Mut braucht, um sich zu outen.
Es ist eine Welt, in der meine Partnerin sich zu beweisen abmüht, dass es ihren Kindern gut geht, dass unsere Beziehung gesund ist, dass sie es immer noch wert ist, geliebt zu werden.
Es ist eine Welt, in der sie ihre Chefin jeden Tag anlügen muss, um ihren Job zu behalten.
Es ist eine Welt, in der die Frau, die ich liebe, in ihrer Gemeinschaft nicht mehr willkommen ist. Der Pfarrer hat ihr verboten, die Arbeit in der Kinderbetreuung, die sie dort jahrelang ausgeübt hat, zu machen, weil sie in einer Beziehung mit mir ist. Dass sie eine Kindertherapeutin, eine Erzieherin und eine hervorragende Mutter von zwei Kindern ist, zählt nicht mehr.
Es ist eine Welt, in der meine Partnerin von ihren eigenen Leuten abgelehnt wird. Die Tatsache, dass sie, ich und der Vater ihrer Kinder perfekt miteinander auskommen, interessiert sie nicht. Ihnen ist es egal, dass die Jungs glücklich sind. Eine Sünde bleibt eine Sünde und Dämonen bleiben Dämonen.
In meiner queeren Gemeinschaft neige ich dazu, das alles zu vergessen. Es tut mir leid, dass Annas Realität so aussieht. Ich hoffe, sie kann in meiner Realität ein Stückchen Zuhause finden.
Élie Chevillet ist eine französische lesbische Bloggerin und Aktivistin. Du findest weitere Blogbeiträge von Élie für den Ylva Verlag hier: Blogposts Élisabeth Chevillet
Folgt Élie auf Instagram: @eliechevillet